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Ein Vogel zum aufziehen?


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Vor kurzem klingelte mein Wecker. Nicht das alltägliche „vor kurzem“ ist gemeint, wenn man damit „vor ein paar Minuten“ ausdrücken will. Vielmehr ist das „wichtige-Ereignis vor kurzem“ gemeint, wenn man mit „vor kurzem“ also auch mal „vor ein paar Tagen“ meinen kann. Auf jeden Fall klingelte mein Wecker. Und dann, noch im Halbschlaf, konnte ich es hören. Ein Laut, welcher an ein Quietschen erinnert. Aber mehr als das und ich musste nicht lange überlegen, wie genau sich das Geräusch anhörte: es musste ein Vogel sein und das Geräusch war ohne Zweifel das Aufziehen einer Feder.

Tagelang habe ich mir immer krampfhaft versucht vorzustellen, wie ein Vogel klingt, der eine Feder aufzieht. Seit den ersten Seiten des Mister Aufziehvogels hegte ich Ahnungslosigkeit und schließlich sogar Misstrauen der Beschreibung gegenüber, mit der Murakami uns dem Geräusch eins Vogels teilhaben lassen will, der gerade eine Feder aufzieht. Und jetzt plötzlich, viel zu früh am Morgen in Konstanz, Egg, höre ich eben dieses Geräusch mit meinen eigenen Ohren. Ja, natürlich hört es sich so an! Wie denn sonst?

Murakami kombiniert eine Feder mit einem Vogel. Und auch ohne das Buch zu Ende gelesen zu haben (es fehlen noch cirka 200 Seiten) – und man sich noch auf eine eventuelle Auflösung freut – gibt es doch so einiges nachzudenken. Zuerst einmal die Widersprüche dieser Kombination.

Ein Vogel; ein Wesen der Natur, anmutig, frei und schön anzuhören. Eine Feder; ein Werkzeug der Menschen, hässlich, sehr zweckorientiert, und ganz und gar nicht schön anzuhören.

Der Vogel gleitet sanft mit dem Wind durch den Horizont, harmonisch und scheinbar von allen Sorgen und Problemen befreit, gleitet ganz ohne Sinn und Zweck. Die Feder springt ruckartig hin und her, kurze schnelle Bewegungen, immer steht sie unter großer Spannung, nie in ihrem ursprünglichen Zustand. Und ist sie es doch mal, erfüllt sie gerade keinen Zweck. Dann ist sie Müll.

Was könnte nun einen Vogel dazu bringen, eine Feder aufzuziehen? Und wie groß müsste eine Feder sein, dass sie die Welt antreibt? Und wer hat sie gebaut?

Die Feder ist als Artefakt zu sehen. Als etwas von Menschen geschaffenes. In der Natur gibt es keine Feder, nur der Mensch ist in der Lage, dieses herzustellen. Dies ist der erste Teil der Überlegung. Dass sie die Welt antreibt. Nun, betrachtet man die Welt in den vier Dimensionen der Physik bleibt für solch eine wichtige Feder einzig und alleine Platz in der vierten Dimension, der Zeit.

Und die letzte Überlegung ist, warum der Vogel, warum ein Vogel eben diese Feder aufzieht. Vögel haben wie alle Tiere kein Bewusstsein der Vergangenheit und der Zukunft. Nur die Gegenwart nehmen sie wahr. So sind sie eben auch nicht so sehr an die Zeit gebunden, so wie es uns Menschen auferlegt ist. Doch warum zieht er sie jetzt auf? Nun, ein Tier hat lediglich einen Grund, so etwas zu tun: es ist sein Instinkt und er hat ein Motiv, eben diesen jetzt in der Gegenwart auszuleben.

Und warum aufziehen? Weil uns das an die wohl bekannteste Verwendung der Feder erinnert: weil man Uhren aufzieht. Eben die Feder derselben.

Und nun kommen wir auf die philosophische Ebene: Der Vogel, die Natur, das Neutrale, Allgegenwärtige, jenseits von Zukunft und Vergangenheit stehende nimmt sich unserer an und gibt uns die Möglichkeit, weiter in unserem Fluss der Zeit zu leben. Gibt uns die Möglichkeit, dass dieser weiter fließt. Mal schneller, mal langsamer. Immer so, wie wir es gerade brauchen; oder auch gerade nicht. Erst die Essenz der Natur gibt der Technik die Möglichkeit, zu ticken. Sich zu entfalten, auszubreiten.

Die Zeit ist manchmal wohl nicht so linear, wie wir es glauben oder gerne hätten. Mal ist sie zu schnell, mal ist sie zu langsam. Und wir, die Menschen; nein, du, nur du, du bist der einzige, der das genau so wahrnimmt. Nur für dich geht die Zeit ihren ganz bestimmten Fluss. Mal über stromschnellen, mal sich kaum bewegend. Nur für dich.

Und erst, wenn wir uns einen Moment der Ruhe gönnen, einen Moment einfach nur die Natur betrachten, die Vögel zwitschern hören und die frische Luft der Bäume einatmen, ja erst dann zieht sich unsere ganz persönliche Feder wieder auf und alles ist wieder ein bisschen mehr im Gleichgewicht. Und alles lebt wieder im Ying und im Yang und im Hier und im Jetzt.

[Bild: Ashes and Snow http://www.ashesandsnow.org/ ]


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